


Umnutzen statt neu bauen!
Brachen brauchen einen neuen SinnReiner Schümer, der seit Anfang der 2000er Jahre gemeinsam mit seinem Schwiegervater Dr. Klaus Hübotter als Immobilieninvestor die städtebauliche Entwicklung der Stadt Bremen begleitet und beeinflusst, entzieht sich den Schubladen. Sein Aussehen erinnert ein wenig an Beat-Autor Jack Kerouac, er fährt Saab, trägt von seiner Frau maßgeschneiderte Hemden und pflegt einen trockenen, selbstironischen Humor.
Während Schümer in Brandenburgs Raumordnungsministerium unter Platzeck und im Transrapid-Team
Erfahrungen sammelte, die man in keinem Lehrbuch und an keiner Hochschule lernen kann, hatte sich Dr. Hübotter in Bremen längst einen Namen als Kulturförderer und Bauherr sowie auch als Bewahrer außergewöhnlicher Immobilien gemacht. Zahlreiche verlassene Bauten in der Überseestadt wurden von Schümer und Hübotter vor dem Abriss bewahrt, saniert und in kulturelle oder künstlerische Umnutzung entlassen. Abreißen und neu bauen könne jeder, sagt Schümer, wer aber eine nachhaltige Verbesserung für ein Quartier schaffen will, sollte versuchen
Bild: Michael Hölzl © 2012


einem verlassenen Bau oder einer Brache einen neuen Sinn zu geben, das sei noch immer die umweltverträglichste Form der Nutzung.
Das Areal rund um die Überseestadt in Bremen Walle wirkt ungehobelt, mit viel Charme und Potential. Wer durch den Hafen läuft, trifft auf raue Schönheit. Man schmeckt das nahe Meer und spürt die Kraft des Windes. Hier kann man zusehen, wie mit Verstand und Chuzpe aus Industriebrachen und alten Backsteinbauten ein neu erblühendes und von den Bremern akzeptiertes Umfeld wird.
Herr Schümer, Sie entwickeln als Investor überwiegend Gewerbeprojekte. Was genau interessiert Sie?
Das schlimmste sind Leerstände und falsch geplante Immobilien. Eine neue Nutzung muss Sinn machen und sollte spannend sein, ein Gebäude lebt durch seinen Inhalt. Natürlich wirkt es durch seine Ansicht auch nach außen in den Stadtraum hinein. Nehmen Sie zum Beispiel das Bamberger Haus, das abgerissen werden sollte, es ist ein Paradebeispiel für unsere Firmenphilosophie. Ursprünglich gehörte es einem jüdischen Kaufmann, der in der Nazizeit enteignet und verfolgt wurde. Wir haben es in Eigenregie wieder aufgebaut und jetzt ist dort die Volkshochschule, es gibt auch eine Ausstellung im Treppenhaus über Julius Bamberger. Am schönsten sind doch Gebäude, die das



Gesicht einer Stadt positiv prägen. Wenn sie ein äußerlich schönes Gebäude haben, das Nutzer hat, die nicht nachhaltig und sozialgerecht denken, arbeiten und das Gebäude beleben, dann ist es kein schönes Gebäude mehr. Jeder Nutzer kann aus einem attraktiven Gebäude ein hässliches machen, sowohl inhaltlich als auch von der Ansicht – wenn der Eigentümer das zulässt.
Welches Ihrer Projekte ist das aktuell wichtigste?
Wir entwickeln derzeit vier Projekte, wobei wir bei zweien als Bauträger in der Projektierung tätig sind und bei zwei Projekten sind wir Investoren. Das eine ist ein Hotel in der Überseestadt, das wir gemeinsam mit Partnern planen und bauen und ein anderes ein Gewerbebau für die Kreativwirtschaft,
gegenüber dem Speicher XI. Dort sollen Werkstättenbereiche und Büros entstehen, das Konzept entwickeln wir gemeinsam mit den Nutzern. Wir richten uns gleichermaßen an Dienstleister und Handwerker, achten aber darauf, dass sich keine Nutzungskonflikte ergeben.
An welche Dienstleistungen denken Sie, was ist Bremens Stärke?
Bremen ist die Stadt der kurzen Wege und damit auch der Möglichkeit zu guter Vernetzung; es kommt hinzu, dass Bremens Einwohnerzahl einen leichteren Überblick erlaubt, als in einer größeren Stadt wie zum Beispiel Berlin. Im Dienstleistungsbereich setzt Bremen auf den Schwerpunkt der Vernetzung zwischen den einzelnen Bereichen. Wir haben Netzwerke für die Kreativwirtschaft in denen es



Lotsen gibt, die Gründer auf dem Weg in die Selbständigkeit beraten.
Sie engagieren sich sehr stark im Hafengebiet und in der Überseestadt Bremen. Was ist Ihre Motivation?
Das Hafengebiet ist vielfältig. Der Holz- und Fabrikhafen ist ein funktionierender Hafen und nach meinem Kenntnisstand werden dort keine Bauflächen angeboten, wie an der Marina des Europahafen, es gibt aber Bestandsgebäude mit unterschiedlichen Nutzungen, auch Büronutzung wie z.B. im HAG Haus. Der überwiegende Teil ist Industrie und Handel und es gibt vor Ort unterschiedliche Interessenslagen, denn eine stark industrielle Nutzung ist schwer kompatibel mit einer Dienstleistung. Ich halte es für wichtig, dass ein Hafen auch als Hafen
funktioniert, das ist auch für Bremen als Hansestadt wichtig. Die bestehende Industrie braucht eine Perspektive, damit sind Arbeitsplätze verbunden. Das wiederum macht eine durchmischte Nutzung, wie in der Überseestadt, interessant. Monostrukturen sind, wie der Name sagt, sehr monoton. Nutzungskonflikte zu minimieren, dafür ist die Stadtplanung da. Alle Beeinträchtigungen wird man nicht vermeiden können, das halte ich aber auch nicht für notwendig. Wenn man zum Beispiel in der Innenstadt wohnt, riecht es manchmal intensiv nach Hopfen und Malz aus der benachbarten Becks-Brauerei. Der eine mag es, der andere nicht. Schwierig wird es dann, wenn mit der Nähe zur Industrie gesundheitliche Beeinträchtigungen verbunden sind. So wäre ein nächstes
Bild: Michael Hölzl © 2012


Ziel, starken Lärm zu vermeiden.
Die Bremer Überseestadt gilt als eines der größten städtebaulichen Entwicklungsprojekte Europas. Was genau ist die Idee dahinter?
Ich bin nicht der Stadtplaner, insofern müssten sie sich für diese Frage eigentlich an die Politik wenden. Der Überseehafen wurde zugeschüttet. Man war der Meinung, dass die Spundwände nicht mehr saniert werden können und fand es wirtschaftlicher, dort neue Bauflächen zu schaffen. Heute würde man das vielleicht anders sehen. Wir waren als erste Investoren mit dem Speicher XI in der Überseestadt tätig, weil wir ein Gutachten über Nachnutzungsmöglichkeiten für das Gebäude erstellt haben und waren auch bereit, das was im Gutachten steht,
selbst zu realisieren. Davor stand das Gebäude fünfzehn Jahre leer. Es ist ein sehr schöner und solide konstruierter Bau, der vor kurzem das hundertjährige Bestehen feierte und sicher auch noch viele hundert Jahre stehen kann. Umnutzung von Bestandsgebäuden ist die umweltverträglichste Nutzung die es gibt. Das wird auch die nächsten Jahrzehnte noch so sein. Wir stehen gerade erst am Anfang des Wandels vom Industrie- zum Informationszeitalter. Wobei keiner sagen kann, wo das Ziel ist und wo es hinführt, deswegen kann auch ich nicht sagen, an welchem Punkt genau wir stehen. Das Industriezeitalter hat etwa zweihundert Jahre gedauert, das Informationszeitalter hat vor etwa fünfzig Jahren begonnen; insofern stehen wir erst am Anfang.
Bild: Michael Hölzl © 2012


Wir haben z.B. die Staplerhalle, in der früher die Gabelstapler im Hafengebiet gewartet wurden, umgenutzt als Veranstaltungshalle, dort finden jetzt Klassikkonzerte statt. Im Vorfeld haben wir uns im Ruhrgebiet einige Hallen angesehen und auch in Hamburg die Fabrik. Gerade das Ruhrgebiet hat viele gute Beispiele für große, umgenutzte Industrieflächen, die brachlagen. Mit der Gründerzeit kamen neue Wohngebiete an die damaligen Innenstadtrandgebiete wo sich traditionelle die Manufakturen befanden und wo sich die Industrie ansiedelte, so dass die Industriehallen der Gründerzeit innenstadtnah sind. Ich gehe davon aus, dass der Trend der Umnutzung von Industriebrachen noch länger anhalten wird und es wäre schön, wenn man nicht mehr auf der
grünen Wiese die wertvollen Böden mit Gewerbeflächen zupflastern würde.
Das Gebiet wird mit sehr viel Aufwand neu erschlossen. Spielt das Wasser eine Rolle?
Wasserlagen sind mit die attraktivsten in den Städten, egal ob an Fluss oder See. In Bremen beispielsweise sind die Wallanlagen sehr begehrt; irgendwie hat der Mensch eine Sehnsucht nach Wasser. In den Städten bieten diese Lagen ruhige Flächen für den Betrachter, mit einer Sichtweite, die man sonst nicht hat – außer vielleicht, man wohnt sehr hoch. Die menschliche Vorliebe für Wasser hat neben der romantischen sicher auch eine praktische Komponente; seitdem der Mensch sesshaft wurde, waren Wasserlagen sehr begehrt, für die Nahrungssuche, für den Schutz, für



Trinkwasser und nun auch für die Erholung.
Ist Kultur für Sie ein zentrales Element der Stadtentwicklung?
Ja. Kunst und Kultur, dass muss man differenzieren, sollten immer ein Motor der Gesellschaft sein und die Gesellschaft reflektieren, denn ohne Reflexion kann sie sich nicht weiterentwickeln. Außerdem ist Kultur etwas viel Schöneres als der schnöde Mammon.
Auch ein wichtiger Aspekt ist, dass der Kulturbereich ganz eigene Nutzungszyklen hat. Eine kulturelle Nutzung findet an den Wochenenden und Abendstunden statt, das heißt, das Gelände wird zu Zeiten belebt, die sonst sehr ruhig sind. Man trifft sich
und spricht anders miteinander als in einem rein beruflich genutzten Umfeld. Menschen, die kulturell und im künstlerischen Kontext arbeiten, bringen spannende Elemente und neue Perspektiven mit ein. Im Hafen z.B. hat jemand die alte Tiedenstanduhr mit bunten Wollnetzen überzogen; manchmal sieht man Zeichnungen an Gebäuden, die in einer Kunstaktion entstanden sind – das macht das Gelände abwechslungsreich und sehenswürdig und zieht Leute an, die dort nichts geschäftliches zu tun haben - was wiederum das Umfeld belebt, die Gastronomie, etc. Es löst Kettenreaktionen aus, wenn man eine gewisse Dichte erreicht, es führt zu einem lebendigen Quartier, im Gegensatz zu einem monoton genutzten. Ein gelungenes Beispiel
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hierfür findet man auch in der Spinnerei in Leipzig, stark von Kunst geprägt. Ein anderes Beispiel ist das Gängeviertel in Hamburg. Es gibt in Deutschland und Europa unzählige Beispiele, bei denen die Umnutzung sehr gut gelungen ist, aber auch
andere, bei denen sie nicht gelungen ist, die Möglichkeit des Scheiterns gehört immer dazu. Etwas kann z.B. nicht funktionieren, wenn der Wandel nur verwaltet wird; man muss auch dem Zufall Freiraum geben, damit etwas wachsen kann.
Bild: Michael Hölzl © 2012